Ehemann der Lehrerin
- Kerstin Tscherpel
- vor 3 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Mein Mann wurde degradiert.
Während er in Deutschland noch Unternehmer und Keynote-Speaker war, ist er seit unserem Umzug nur noch „Ehemann der Lehrerin“. Das ist tatsächlich sein offizieller Titel im Dienstpass, den wir vom Auswärtigen Amt in Berlin bekommen haben. Als er den Pass aufschlägt, traut er seinen Augen nicht und denkt, das sei ein schlechter Scherz. Diese Tatsache trifft ihn schwer in seinem Selbstverständnis.
Für das Visum in Indien zählt nur meine Anstellung als Lehrerin an der Deutschen Schule. Mein Mann und meine Kinder sind in ihrem Visum von meinem abhängig. Deshalb steht auch bei den Kindern im Pass „Sohn“ oder „Tochter der Lehrerin“. Für sie ist das nicht besonders wichtig – für meinen Mann dagegen schon.
Dieser Rollenwechsel zieht sich in Indien weiter. Obwohl Indien sehr traditionell ist und mein Mann, als Mann und Familienvater, durchaus Status genießt, bin ich jetzt auf einmal die, die Mietverträge und Autokaufverträge unterschreiben und das Bankkonto eröffnen muss. Er darf schon froh sein, dass er eine eigene Bankkarte bekommt. Für seine Unterschrift interessiert sich hier niemand. Das hat ihn sehr verstört.
Interessanterweise kehrt sich diese Rollenverteilung in unserem Alltag mit dem Personal wieder um. Die Angestellten orientieren sich sehr stark an meinem Mann, und jede Anweisung, die ich gebe, wird lieber noch einmal bei ihm bestätigt und sei es auch nur durch ein Kopfnicken. Für sie ist und bleibt er der „Boss“ im Haus.
An der Botschaft nennt man die mit ausreisenden Partner „MAP“. Scherzhaft wird das als „Mann am Pool“ übersetzt. Da MAPs nicht arbeiten dürfen, haben sie viel Zeit und treffen sich zu Sightseeing- und Kaffeetrinkevents, um den Kulturschock zu verarbeiten. Das liegt meinem Mann nicht. Dafür nimmt er am Betriebssport der Botschaft teil und spielt einmal die Woche Fußball.
Am Morgen nach dem ersten Fußballspiel humpelt er unter Schmerzen durch die Wohnung. Da kam mir der Gedanke, dass dieser körperintensive Sport vielleicht nicht mehr das Richtige für ihn ist. Immerhin ist er über fünfzig. Die Regeneration zog sich fast eine Woche – und das blieb auch die nächsten Male so. Irgendwann äußerte ich doch meine Bedenken, dass Fußball vielleicht nicht mehr optimal sei. Mein Mann blieb aber verbissen dabei. Typisch! Ob aus echter Begeisterung oder wegen der sogenannten dritten Halbzeit mit dem Bier danach, weiß ich nicht. Fakt ist: Jetzt humpelt er kaum noch und ist wieder fit wie ein Turnschuh.

In Deutschland war er leidenschaftlicher Bogenschütze und sogar Deutscher Meister in einer Disziplin. Stundenlang war er auf dem Parcours. Hier in Delhi gibt es zwar Bogenschießen, aber nur die olympische Disziplin in der Halle auf Zielscheiben. Mein Mann schießt jedoch Feldbogen – draußen, in Wald und Wiese. Das ist hier nicht möglich. Bald musste er feststellen, dass er seine Bogenausrüstung völlig umsonst mit nach Indien gebracht hat. Das war ein echter Verlust für ihn. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich ernsthaft Zweifel und Sorgen, ob er hier glücklich werden könnte.

Also musste er sich umorientieren. Denn einmal Fußball die Woche war natürlich nicht genug Sport. In Delhi kann man dafür hervorragend Tennis spielen. Die Platzgebühren und privaten Trainerstunden sind günstig, und es gibt sogar Balljungen, sodass man die ganze Stunde durchspielen kann. Stundenlang hüpft er jetzt auf dem Tennisplatz herum – auch wenn es draußen über 35 Grad hat. Manchmal kommt er mit so hochrotem Kopf nach Hause, dass ich Angst um seine Gesundheit bekomme. Die Möglichkeit, hier mit einem Trainer richtig Tennisspielen zu lernen, begeistert ihn. Schon als Kind wollte er Tennis spielen, aber damals hatten seine Eltern nicht genug Geld für den Verein.
Obwohl er sein Unternehmen hier weiter online führt, hat mein Mann deutlich mehr Zeit. Diese investiert er in unsere Kinder. Mit dem Kleinen macht er Hausaufgaben, mit den Großen redet er stundenlang über Gott und die Welt. Diese Begleitung tut unseren Kindern gut. In Deutschland war dafür oft wenig Raum, weil wir zusätzlich den Haushalt stemmen mussten und keine Silmanti hatten.
Mein Mann liebt den Austausch mit anderen Menschen. Daher sind die vielen Social Gatherings hier in Delhi für ihn unglaublich bereichernd. Beinahe jedes Wochenende gibt es eine Einladung. In Deutschland war das nicht so – und unser Freundeskreis war dort auch nicht wesentlich kleiner.
Der einzige Wermutstropfen ist der häufige Wechsel. Viele, die sich ins Ausland versetzen lassen, bleiben drei bis fünf Jahre, manche nur ein oder zwei. Kaum hat man jemanden ins Herz geschlossen, steht der Abschied schon bevor. Das ist im Vergleich zu Deutschland gewöhnungsbedürftig. Dort bleibt das soziale Netz jahrzehntelang stabil.
Hier ist es das Gegenteil. Alte Freunde gehen, neue – noch unbekannte – kommen. Ein ständiger Wechsel, der schmerzt und anstrengend ist. Aber vielleicht macht gerade dieses Wissen um die Vergänglichkeit den Unterschied. Man weiß: Die Zeit ist begrenzt. Also ist man offen und bereit, neue Menschen kennenzulernen. Denn niemand ist gern allein. Der Mensch ist ein Gruppentier und nur mit sozialem Netz glücklich und zufrieden.
So baut man sich im Ausland ein Netzwerk aus Freunden auf der ganzen Welt auf. Die einen gehen zurück nach Deutschland, die nächsten vielleicht nur um die Ecke nach Kuala Lumpur. Aber der Kontakt bleibt.

Kommentare