Belohnungsstrategien - zwischen Askese und Aperol
- Kerstin Tscherpel
- 8. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Wenn ich mich im Alltag gestresst fühle, habe ich immer das Gefühl, mich belohnen zu müssen. Das kann das Glas Wein am Abend sein – was viel zu schnell zur Routine wird – oder die leckere Süßigkeit. Beides ist überhaupt nicht gut für meine Linie. Denn wenn ich eins weiß, dann dass die Kombination aus Rotwein und Pralinen zu einer gesicherten Gewichtszunahme von einem halben Kilo in ein bis zwei Wochen führt. Diese unangenehme Erkenntnis habe ich während der stressigen Korrektur- und Notenabgabe vor Weihnachten im Selbstversuch herausgefunden.

Belohnen in Indien – eine andere Geschichte
Hier in Indien ist das mit den Pralinen schwieriger. Die Schokolade schmilzt bei den Temperaturen schnell und wird unansehnlich. Im Kühlschrank wird sie zu hart, sodass das Erlebnis des zarten Schmelzens fehlt. Beides führt dazu, dass unser Schokoladenkonsum deutlich abgenommen hat im Vergleich zu früher in Deutschland.

Das kühle Glas Weißwein oder ein Aperol Spritz aber bleibt verlockend. Gerade bei den indischen Temperaturen. Und was gibt es Schöneres, als mit einem kühlen Drink den Sonnenuntergang über der Hitze der trubeligen Stadt zu erleben? Das wäre doch ohne den Drink nur halb so schön.
Ein unangenehmer Spiegel
Als neulich mein Sohn meinte, ich würde aussehen wie die Alkoholikerin in der Serie The White Lotus, habe ich beschlossen, dem Alkohol abzuschwören. Zu meiner Verteidigung lässt sich nur anführen, dass ich unter schlimmem Jetlag stand und furchtbar verquollen aussah, als ich gegen Mittag aus dem Schlafzimmer kam. Trotzdem hat mich diese Bemerkung sehr erschrocken – und das Bedürfnis ausgelöst, sofort etwas zu ändern.
Das sind die Maßnahmen, die ich umsetzen möchte:
1. Öfter mal kein Alkohol
2. Tägliche Bewegung
3. Täglich eine bunte, frische Mahlzeit
Das klingt zwar nach einem gesünderen Lebenswandel, trotzdem bleibt die Frage nach der Kompensation.
Was sagt die KI dazu?
Daher habe ich mich mit ChatGPT ausgetauscht. Die hat mir erst mal versichert, dass das Bedürfnis, sich nach Stress zu belohnen, etwas ganz Normales ist. Das hat meine Einstellung zu mir selbst gleich verbessert, weil ich jetzt nicht mehr das Gefühl habe, ein schwerwiegendes Psychoproblem zu haben.
Die Belohnungsvorschläge der KI waren aber – na ja – nicht so attraktiv.
Hier ihre Empfehlung:
Gesunde Alternativen finden.
Statt impulsiv zu Schokolade und Wein zu greifen, kannst du Belohnungen wählen, die dir langfristig guttun. Ein paar Ideen:
- Bewegung: Ein Spaziergang, Yoga oder Sport setzt Glückshormone frei und baut Stress ab.
- Kreative Aktivitäten: Malen, Musik, Schreiben oder Kochen können erfüllend sein.
- Soziale Belohnung: Mit Freunden oder Familie reden, sich verabreden oder eine schöne Nachricht schreiben.
- Bewusstes Entspannen: eine Meditation, eine heiße Dusche oder bewusstes Atmen.
Daran merkt man, dass es doch nur eine KI ist – und keine gute Freundin. Eine Freundin wüsste nämlich, dass ich nach der Schule so durch bin, dass ich mich zu nichts anderem als einem Drink aufraffen kann. Und dabei am liebsten auf meiner Dachterrasse Löcher in die Luft starre. Ich will dann sicher keinen Sport machen oder meditieren. Ich will einfach nur konsumieren – leckeres Essen, eine Massage oder eben einen Drink.
Das Dilemma
Dieses Konsumieren ist aber sehr gefährlich, weil es sich meist negativ auf den Geldbeutel auswirkt. Also versuche ich, die Anzahl der Massagen nicht ausarten zu lassen. Und na ja – die negativen Aspekte von Essen und Drinks hatten wir ja schon.
Ich stecke also in einem Dilemma. Für das es scheinbar keine einfache Lösung gibt.
Entweder ich ignoriere mein Aussehen und meine Finanzen – oder ich verzichte. Verzichten hat leider so gar nichts Belohnendes und ist deswegen so gar nicht erstrebenswert.
Der Kompromiss: der mittlere Weg
Vielleicht ist eine Lösung, ein natürliches Maß zu finden. Nicht immer das Glas Wein, nur gelegentlich eine Massage. Schließlich freut man sich über Dinge, die man nicht ständig hat, auch mehr als über das Alltägliche. Ein bisschen wie der mittlere Weg im Buddhismus: das Vermeiden von Extremen. Also weder Askese noch hemmungsloser Genuss.
Ich könnte einen Tag mein Glas Wein hemmungslos genießen – und am nächsten asketisch darauf verzichten. Dann mache ich im Durchschnitt weder das eine noch das andere extrem.
Oder ist das geschummelt?
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