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AutorenbildKerstin Tscherpel

Erdbeben

Dienstag Nacht habe ich mein erstes Erdbeben erlebt. Ich habe schon geschlafen, als das große schwere Holzbett angefangen hat zu wackeln. Es war 2:00 Uhr nachts und bis ich im Halbschlaf zu der Erkenntnis gelangt bin, dass es sich wohl um ein Erdbeben handeln muss und richtig wach war, war der Spuk schon vorbei. Das Ganze hat nur wenige Sekunden gedauert, trotzdem hat es mich sehr beunruhigt.


Ich bin im Bett gesessen und habe darüber nachgedacht, ob das jetzt nur ein kleineres Vorbeben war und wir lieber doch das Haus verlassen sollten. Bis auf Mitzi hat der Rest meiner Familie das Beben verschlafen. Also habe ich etwas abgewartet, ob noch was passiert und mir überlegt, was wohl das beste Kriterium sein könnte, zur Entscheidung, ob man das Haus verlässt. Schließlich ist nicht mal etwas aus den Regalen oder Schränken gefallen. Somit habe ich entschieden, dass das Runterfallen von Gegenständen ein gutes Kriterium sein könnte.

Am nächsten Morgen habe ich beim Kaffee recherchiert, was es mit dem Beben auf sich hatte. Es war ein Erdbeben in Nepal mit einer Stärke von 6,3, das bis Delhi ausgestrahlt hat. Das Epizentrum des Bebens war also mehrere hundert Kilometer entfernt. Gott sei Dank! Immerhin wohnen wir im dritten Stock und bis wir mit Sack und Pack auf der Straße stehen würden, würden bestimmt ein paar Minuten vergehen. Vor allem, da man über die Treppe das Haus verlassen muss. In Nepal sind auch Häuser eingestürzt und Menschen ums Leben gekommen.


Das Beben war am nächsten Tag natürlich Gesprächthema Nummer eins und weil Beben in Delhi häufiger vorkommen als in Deutschland, habe ich meine indischen Angestellten gefragt, wie sie das Beben einschätzen würden. Unser Fahrer, gelassen wie immer, meinte es sei nicht so stark gewesen und man hätte auch nicht das Haus verlassen müssen. Das hat mich beruhigt. Unser Koch meinte, er sei mit seiner schwangeren Frau raus, das sei einfach sicherer. Die junge Sekretärin an der Schule meinte, das sei ein stärkeres Beben gewesen und man hätte auf jeden Fall das Haus verlassen müssen. Sie sei sogar von ihren Eltern angerufen worden. Wie man sieht, sind die Aussagen alles andere als einheitlich und interessanterweise in ihrer Einschätzung vom Alter der Person abhängig. Unser Fahrer ist am Ältesten und empfand es am wenigsten bedrohlich, unser Koch ist so alt wie ich und lag in seiner Gefährlichkeitseinschätzung so in der Mitte und die Sekretärin ist vielleicht gerade 25 Jahre alt und hat das Beben am Bedrohlichsten empfunden. Je älter die Person, desto weniger gefährlich wurde dieselbe Situation also eingestuft.


Ich muss zugeben, dass ich immer noch etwas unsicher bin, wie mit so einem Ereignis das nächste Mal am besten umzugehen ist. Daher hoffe ich, dass das Kriterium der herausfallenden Gegenstände gut ist. Mein Mann meinte nur lapidar, so lange man sich noch auf den Füßen halten könnte, müsste man auch nicht das Haus verlassen. Da frag ich mich schon, wie er das Haus verlassen will, wenn man sich nicht mehr auf den Füßen halten kann.

Mit Familie trage ich Verantwortung, somit sollte ich mich vielleicht doch an die Empfehlung des Kochs halten und auf Nummer sicher gehen und das Haus verlassen. Dabei stellt sich dann die Frage, wie lange man draußen bleibt. Fragen über Fragen. Vielleicht ist es in diesem Fall doch so, dass man sich mit seinem Verhalten nach der Masse richten sollte und dann wieder ins Haus geht, wenn das die anderen auch machen.

Ich hoffe, dass ich mich so schnell nicht näher damit auseinandersetzen muss.


So ein Erdbeben ist auf jeden Fall ein unheimliches Ereignis und führt zu einem Kontrollverlust, bei dem man sich einfach nicht wohl fühlt. Aber vielleicht gewöhnt man sich ja mit der Zeit auch daran. Ein ungutes Gefühl hätte ich, wenn ich dort in Nepal wohnen würde, wo wohl das Epizentrum des Bebens war. Die Presse spricht von dieser Region nämlich als Erdbebenfalle. Das hört sich wirklich beklemmend an.




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