Smog & Novemberblues
- Kerstin Tscherpel
- vor 3 Tagen
- 5 Min. Lesezeit

Der Smog ist eine eklige Sache
Ende Oktober, wenn es kühler wird in Delhi, legt er sich Smog wie eine Decke über die Stadt und verschwindet erst Ende Februar, wenn es wieder warm wird. Jeder Wetterkundler denkt sofort an Inversionswetterlage. Aber das Phänomen benennen zu können, hilft einem auch nicht weiter.
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man denken, es sei Nebel. Aber sobald man einen Fuß vor die Tür setzt, merkt man gleich wie es kratzt im Hals. Manchmal brennt es sogar in den Augen. Man spürt sofort wie ungesund der Smog ist. Sobald man sich länger draußen aufhält, wird der Hals immer kratziger und ich bekomme sogar Kopfschmerzen. Am nächsten Tag fühle ich mich regelrecht verkatert, obwohl ich keinen Alkohol getrunken habe.
Zum Glück ist man diesem Smog nicht völlig hilflos ausgeliefert.
Hier meine 8-Punkte-Smogstrategie:
1. Luftfilter überall
In jedem Raum unseres Appartements steht ein guter Luftfilter, der vor der Smogsaison mit neuem Filtermaterial bestückt wird. Das war die teuerste, aber beste Investition.
2. Die Wohnung abdichten
Ventilatorenlöcher in den Duschen abkleben, Dichtungsmaterial in Türen und Fenster anbringen. Wir leben quasi in einer fast hermetisch abgeriegelten Blase.
3. Zimmerpflanzen aufstellen
Ich präferiere Grünlilien. Sie sind anspruchslos, beseitigen viele Giftstoffe und feuchten die trockene Luft an.
4. Im Auto ebenfalls einen Filter installieren
Auch die 20-minütige Fahrt zur Schule soll sicher sein.
5. Möglichst wenig draußen aufhalten
Banal aber effektiv.
6. Viel trinken
Um das Selbstreinigungssystem der Lunge zu unterstützen. Wasser, Tee, Wasser.
7. Und natürlich Ingwertee
Der ist einfach immer gut. :)
8. Wenn möglich Delhi verlassen
Das machen wir immer in den langen Winterferien. Goa, Thailand, Deutschland – Hauptsache weg. Diese Flucht ist ein Privileg, das weiß ich. Die meisten können nicht einfach vier Wochen verreisen. Dieses Privileg genieße ich und bin dafür sehr dankbar.
Alltag im Smog: Leben ist Anpassung
Da wir während der Schulzeit Delhi nicht verlassen können, müssen wir uns mit den Bedingungen arrangieren. Wir gehen nur raus, wenn es nötig ist. Ich persönlich finde das nicht so einschränkend, da ich mir dann immer das Wetter in Deutschland vor Augen halte. Ganz ehrlich, im November bei Kälte und Regen bin ich auch nicht viel raus, egal ob die Luft gut war.
Manche gehen mit Masken raus. Wer das erträglich findet, kann sich damit natürlich behelfen. Ich selbst habe ein Problem mit Masken und innerhalb kürzester Zeit das Gefühl, nicht ausreichend Luft darunter zu bekommen. Daher trage ich sie nicht so oft.
Mein Mann muss seine Outdoorsportaktivitäten, wie Tennis und Fußball, einschränken. Die Kinder an der Schule bleiben in den Pausen drinnen. Es gibt dann sogenannte Bewegungspausen in Räumen, wo sie sich austoben können. Natürlich ist die Luft an der Schule auch gefiltert. Zum Sportunterricht gehen sie oft in die Boulderhalle. Das ist eine Kletterhalle, die ebenfalls Luftfilter besitzt. Am Wochenende kann man mit den Kids in nicht gerade günstige Indoorspielhallen mit gefilterter Luft ausweichen oder man bleibt einfach zu Hause und lädt Freunde ein.
Zu Hause liegen unsere Luftwerte meist unter 10 µg/m³ oft sogar unter 5 µg/m³. Dabei wird der Anteil der lungengängigen Partikel mit einer Größe von bis zu 2,5 Mikrometer Durchmesser erfasst. Das ist hervorragend. Daher habe ich mich in Delhi nie wirklich durch den Smog bedroht gefühlt. Selbst bei Stromausfällen springt der Generator an, der die Luftfilter weiter mit Strom versorgt.
Das Schlüsselerlebnis.
Ich brate Fleisch in der Küche, als plötzlich der Luftfilter wie verrückt zu blasen beginnt. Tick, tick, tick – der Wert steigt. 150 µg/m³, 250 µg/m³, 350 µg/m³.
Von einem simplen Bratvorgang!
Ich starre auf die Anzeige und denke: Wenn Fleischbraten so viel Feinstaubbelastung erzeugt… wie haben wir dann in Deutschland ohne Filter, ohne tägliches Nasswischen gelebt? Ich erinnere mich, wie die Luft in unserem Wohnzimmer an langen Kartenspielabenden, an denen der Kamin noch brannte, oft zum Schneiden war. Aber da gab es eben keine Messgeräte, die einen auf die schlechte Luftqualität aufmerksam gemacht hätten. Also hat es auch niemand bekümmert.
In Deutschland wird ja das Lüften propagiert. Aber ehrlich, wer lüftet schon so wie es empfohlen wird? Mehrmals täglich Stoßlüften wird empfohlen. Das habe ich in Deutschland weder praktiziert noch bei anderen wahrgenommen. Eigentlich wird meist über gekippte Fenster gelüftet, in der naiven Annahme, dass das denselben Effekt hat.
Wenn ich jetzt noch bedenke, wieviel Zeit meines Lebens ich in Innenräumen und wieviel ich draußen verbringe, wird absurderweise deutlich, dass ich hier in Delhi mit meinen Luftfiltern letztendlich in besseren Luftbedingungen lebe als ich in Deutschland ohne Filter gelebt habe. Denn meine Luftfilter laufen 24/7 durch und Silmanti beseitigt täglich den Staub und hält alles clean.
Zwei Realitäten im selben Smog
In den Medien wird der Smog in Delhi jedes Jahr wieder neu dramatisiert. Das führt dazu, dass Delhi als Standort sehr unbeliebt ist, obwohl man hier mit genügend finanziellen Mitteln sehr gut leben kann.
Mir ist bewusst: Diese 8-Punkte-Strategie ist ein Luxus-Problem. Während ich über Luftfiltermarken nachdenke und ob der Generator bei Stromausfall anspringt, atmen Millionen Inder auf der Straße dieselbe Luft ohne jeden Schutz ein. Rikschafahrer, Straßenverkäufer und die Menschen, die auf den Straßen leben und auch die, die sich in ihren einfachen Behausungen einfach keine Filter leisten können – sie alle haben keine Wahl. Zu ihnen gehören bestimmt auch unsere Putzfrau und unsere Fahrer. Sie sind dem Smog ungeschützt ausgesetzt, Tag für Tag, Stunde für Stunde.
Natürlich hat auch die indische Regierung das Problem längst erkannt und versucht mit Gesetzen gegenzusteuern. So dürfen Autos in Delhi nur maximal 10 Jahre lang gefahren werden und an Tagen mit schlimmem Smog dürfen entweder nur Autos mit geraden oder ungeraden Autokennzeichen fahren.
Aber das sind nur kleine Teile eines komplexen Problems. Der Smog hat viele Ursachen: Fahrzeugabgase und Industrie tragen den größten Teil bei. Dazu kommt Baustaub, und auch der Staub aus der Wüste Thar spielt eine Rolle. Besonders dramatisch wird es im Oktober und November, wenn die Bauern im Punjab ihre Felder abbrennen.
Das Abbrennen der Stoppel ist für die Bauern die einzige bezahlbare Möglichkeit, ihre Felder schnell für die nächste Aussaat bereit zu machen. Maschinen, die die Stoppel unterpflügen könnten, können sich die meisten nicht leisten.
Die Bauern sitzen in der Klemme: Sie verbrennen illegal die Stoppel und riskieren Strafen und Delhi erstickt im Rauch.
Jetzt werden in Delhi große Luftfilteranlagen aufgestellt. Was mir in Anbetracht der Smogglocke als aberwitziges Unterfangen erscheint. Aber vielleicht bringt es ja was und reduziert die Belastung für all jene, die nicht den Luxus haben, in gefilterter Luft zu leben.
Ich habe nie wirklich verstanden, warum Gesundheit und das Lebensalter vom Reichtum abhängig sein soll. Aber die Smogproblematik zeigt dies überdeutlich. Die Reichen leben in gefilterter Luft und die Armen eben nicht.
Die Illusion als Heimatgefühl
Ironischerweise löst der Smog bei mir Heimatgefühle aus. Oft wirkt er wie Nebel und das fühlt sich wenigstens ein bisschen nach Herbst und nahendem Weihnachten an.
Andere optische Signale gibt es nicht . Die Temperatur liegt tagsüber immer noch bei über 20 Grad und die bäume sind weiter grün und blühen. Wenn der Smog als verschleierter Nebel nicht wäre, könnte es auch Frühling sein.
Der Smog ist mein deutscher Novemberblues. Er zwingt mich, drinnen zu bleiben und die Welt durch Glas zu betrachten - mit einer heißen Tasse Tee und heimatlich vertraut.
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