In der Nähe von Dharamkot gibt es einen Wasserfall bzw. mehrere, die man zu Fuß, über eine nicht allzu weite Wanderung erreichen kann. Da man an diesen Wasserfällen auch Baden kann, wollten wir uns das nicht entgehen lassen. Es gibt einen kleineren, unteren, den Bhagsu Wasserfall, und einen größeren, oberen, den Gallu Wasserfall.
Der Bhagsu Wasserfall, an den man nach einem kurzen Spaziergang gelangt, wurde uns als touristischer beschrieben als der Gallu Wasserfall. Daher machen wir uns frohen Mutes, mit Badesachen im Gepäck, auf zu dem Gallu Wasserfall, wo wir uns mehr Ruhe versprechen. Damit die Wanderung für meinen Kleinen nicht so lang ist, beschließen wir das erste Stück mit dem Auto hochzufahren. Unser Fahrer, der aus einem Bergdorf kommt, fährt uns. Die unbefestigte Straße besteht aus mehr Schlaglöchern als aus ebenen Strecken und ist gerade breit genug für ein Auto. Es geht in steilen Serpentinen den Berg hoch. Selbst ich habe ein beklemmendes Gefühl, wenn ich den unbefestigten Straßenrand sehe, der in einen steilen, baumbewachsenen Abhang mündet. Als uns ein Auto entgegenkommt und sich unser Fahrer Millimeter vom Abgrund daran vorbeizwängt, ist für uns alle klar, dass wir dieses Stück auf dem Rückweg lieber doch laufen. Satinder, unser Fahrer, lacht über unsere Panik und meint, dass die Straßen in seinem Bergdorf schlimmer wären. Alle sind sehr froh, als wir endlich oben ankommen.
Der Wanderweg zu diesem Wasserfall schlängelte sich über einen unbefestigten Trampelpfad durch die Berge. Da er meistens im Wald verläuft, ist es zum Glück nicht so heiß. Wir sehen riesige Rhododendronbüsche am Wegrand rot blühen. Ich kann mich noch erinnern, wie meine Eltern versucht haben, diese Büsche vor unserem Haus zu kultivieren als ich Kind war und sie irgendwie nie richtig wuchsen. Hier im Himalaya wuchern sie regelrecht. Wenn das meine Mama sehen könnte, sie wäre sicher begeistert.
Zurück zum Weg. Dieser ist so schmal und steinig, dass mein Mann die Hand unseres kleinen Sohnes fest hält, damit er nicht den Berghang hinab stürzt. Zwei, dreimal müssen wir Geröllfelder überqueren. Das ist ganz schön abenteuerlich. Die einzige Orientierung bilden die Rohre, die das Wasser vom Wasserfall nach Dharamkot führen. Wobei man sich eigentlich nicht verlaufen kann, da es keine Abzweigungen gibt. Die Rohre sind sehr kalt. Das lässt bei mir Zweifel aufkommen bezüglich unseres Badevorhabens. Unsere befreundeten Führer hüpfen indienlike auf Flip-Flops den Weg entlang, während ich meine Augen auf den Weg konzentriere, um nicht abzurutschen.
So zieht sich die Wanderung immer länger und wird auch immer anstrengender und gefährlicher. Weil wir aber schon so ein großes Stück zurückgelegt haben, möchte ich nicht unverrichteter Dinge umkehren. Außerdem freue ich mich auf das kleine Café am Wasserfall, das es dort geben soll. Es geht immer weiter bergauf und das Rauschen des Wasserfalls wird immer lauter. Endlich nach einer letzten Kurve öffnet sich der Weg auf ein kleines Felsplateau. Wir sehen den Wasserfall der zwischen schroffen Felsen herunterfällt. Er ist kleiner als vermutet. Das Wasser ist türkisblau und sammelt sich unterhalb des Felsplateaus in kleinen Becken. Einige andere junge Inder sind auch da und machen Selfies vor dem Wasserfall.
Ich schaue mich erwartungsvoll nach dem Café um, aber das Einzige, was ich entdecke ist ein kleiner Steinverschlag mit blauer Plastikplane als Dach, der an den Berghang gebaut ist. Davor ein Tisch und zwei Bänke. Das ist das Café!? Das sieht eher wie eine Notschutzhütte aus. Zumindest entspricht es nicht der Vorstellung, die ich Zumindest hängt eine kleine Tafel mit Angeboten draußen. Es gibt Omelett. Ein wettergegerbter Inder mit Ohrenschützern steht hinter seinem winzigen Tresen in dem Steinverschlag. In seiner Auslage sind allerlei Snacks und Softdrinks verfügbar. Das ist ein Anblick. Unbeschreiblich. Wie hat er all die Sachen hierher transportiert? Aber wahrscheinlich wird das mit Maultieren bewerkstelligt. Die habe ich hier schon mit Lasten bepackt die Berghänge entlanglaufen sehen. Trotzdem ist es fast schon grotesk, hier am Ende der Welt, diese improvisierte Imbissbude vorzufinden.
Zum Baden muss man nochmal einen kleinen, waghalsigen Abstieg zu den Wasserbecken vagen. Ich muss mich erst mal sammeln nach der Anstrengung und schaue den anderen beim Baden zu.
Schließlich überzeugt mich Zoe doch, auch ins Wasser zu gehen. Mutig steige ich in eins der Becken. Das Wasser ist so eisig, dass einem nach kurzer Zeit die Waden schmerzen, wie beim Kneippen. Kein Wunder, dass mein Kleiner nicht drin war. Weil ich kein Feigling sein will, tauche ich einmal kurz unter und krabbel dann so schnell es geht aus dem Becken. Zumindest bin ich jetzt erfrischt, aber vor dem Rückweg graut mir trotzdem.
Wir sehen einen alten Ziegenhirten mit Stock, der mit seinen Ziegen die steilen, unwegsamen Berghänge erklimmt. Ich bin beeindruckt, weil ich mich im Gegesatz dazu, so unsicher auf dem Pfad fühle.
Aber da es keinen Helikopterabholdienst gibt, muss ich wohl oder übel selber zurück laufen.
Über dem Wasserfall ziehen graue Regenwolken auf. Das macht mich etwas nervös, weil die Steine auf dem Pfad bestimmt noch rutschiger werden, wenn sie nass sind. Ich frage den Imbissbudeninhaber, ob er meint, dass es regnen wird. Erst sagt er: Nein, da ja gerade keine Regenzeit wäre. Dann relativiert er seine Aussage und sagt, wenn es regnen würde, dann nur kurz. Das beruhigt mich nicht wirklich. Mit den grauen Wolken im Rücken und einem unguten Gefühl, machen wir uns auf zurück nach Dharamkot.
Überraschenderweise geht der Weg zurück viel besser als ich befürchtet hatte. Vielleicht weil wir ihn bereits kennen. So erreichen wir alle wohlbehalten und trocken das Sunset-Café, das am Anfang des Wanderweges liegt. Hier gibt es selbstgemachte Pizza und Säfte mit einem spektakulären Ausblick auf die umliegenden Hügel und natürlich den Sonnenuntergang. Wir genießen den Ausblick und lassen den Tag mit dem Sonnenuntergang ausklingen.
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